„Zwischen Scham und Stolz – über Sprache, Macht und Selbstbestimmung“

11.06.2025

ein Blogbeitrag von Elsa 

"Schlampig, zickig, zu laut" – Warum ich mir bestimmte Wörter zurückholen will

Es gibt Begriffe, die fühlen sich an wie kleine Nadelstiche. Nicht unbedingt wegen ihrer Bedeutung, sondern weil sie mit Erinnerungen verbunden sind. An Schulhöfe, an Gespräche im Freundeskreis, an Schlagzeilen. Schlampe. Zicke. Pussy.

Ich habe lange gedacht: "Das sind halt Beleidigungen, so redet man eben nicht." Aber inzwischen frage ich mich – wer hat eigentlich entschieden, dass diese Worte negativ sind? Und: Wer profitiert davon, wenn wir sie meiden oder uns für sie schämen?

Was passiert, wenn wir Sprache nicht mehr anderen überlassen?

In letzter Zeit beobachte ich, wie immer mehr Frauen – besonders Künstlerinnen – diese Begriffe bewusst in den Mund nehmen. Sie singen sie, rappen sie, schreiben sie auf Shirts oder posten sie mit Absicht. Und plötzlich verändert sich ihre Wirkung. Was früher eine Beleidigung war, wird jetzt eine Haltung. Eine Reaktion. Ein Stück Selbstermächtigung.

Die Rapperin Ikkimel zum Beispiel macht das auf eine ganz eigene, faszinierende Weise. Ihre Texte sind provokant, zärtlich, wütend – und dabei immer glasklar feministisch. Wenn sie sich Worte wie Fotze oder Pussy zurückholt, dann nicht zur Provokation, sondern als ein ganz klares: "Ich entscheide, wie ich genannt werde." Ihr Sound ist roh und poetisch zugleich – und gerade das macht ihn so kraftvoll.

Und dann ist da Nura – laut, kompromisslos und politisch. In ihren Songs reclaimt sie Begriffe wie Bitch oder Schlampe, ohne sie entschärfen zu wollen. Stattdessen legt sie die Machtverhältnisse offen, die dahinterstehen.

Nura macht in ihrer Musik klar: Weibliche Wut, Lust oder Lautstärke brauchen keine Entschuldigung – sondern Raum.
Sie zeigt: Es geht nicht darum, nett oder gefällig zu sein – sondern darum, sich selbst zu behaupten. Auf ihre Weise, mit ihrer Sprache.

Ich finde: Es geht nicht nur um Provokation

Es geht darum, dass wir Begriffe nicht einfach hinnehmen müssen. Dass wir nachfragen dürfen: Warum ist Pussy eigentlich ein Synonym für Schwäche, obwohl sie (ehrlich gesagt) eines der stärksten Körperteile ist, die es gibt?

Und ja, es fühlt sich manchmal ungewohnt an, solche Wörter auszusprechen – gerade, wenn man mit einem anderen Frauenbild groß geworden ist. Aber genau deshalb ist es wichtig. Denn Sprache formt Realität. Und wenn wir wollen, dass sich etwas ändert, müssen wir auch die Worte dafür finden – oder sie uns neu aneignen.

Rückeroberung ist kein Trend – sie ist ein Schritt in die Freiheit

Ich sage nicht, dass wir jetzt alle mit Schimpfwörtern um uns werfen sollen. Aber ich wünsche mir mehr Bewusstsein. Mehr Mut, genauer hinzuschauen. Und vielleicht auch den einen oder anderen Moment, in dem wir uns ein altes Wort zurückholen – und es in etwas verwandeln, das uns gehört.

Denn manchmal beginnt Empowerment nicht mit einer großen Geste, sondern mit einem einzelnen, selbstgewählten Wort.

📚 Quellen & Weiterführende Links

  1. Nura 
     Alben & Songtexte zur Selbstermächtigung und weiblicher Perspektive im Rap
    → https://open.spotify.com/artist/3gkbRDj7pkIylWVBpRfrQf?si=SxEZleC6RhuHMW4VSHBG6A

  2. Ikkimel 
    Texte & Performances der Künstlerin zu queer-feministischen Themen
    https://www.instagram.com/ikkimel

    Interview mit Ikkimel über ihre provokativen Texte und feministischen Ansatz →https://www.youtube.com/watch?v=D_BZCe2rdPc<br>

  3. Zuzanna Jusińska – "Slur Reclamation – Polysemy, Echo, or Both?"
    Über die feministische Rückeroberung von Schimpfwörtern
    → https://www.researchgate.net/publication/354903417_Slur_Reclamation_-_Polysemy_Echo_or_Both</p>

  4. Warum "Bitch" wieder den Frauen gehört
    → https://www.goethe.de/ins/in/de/kul/lak/sko/23567264.html</p>